Die Pleite beschäftigt die Gerichte immer noch, mehr als 12.500 Anleger verloren eine halbe Mrd. Euro. Das Wiener Landesgericht sieht den Staat in der Pflicht.
Es gibt ein erstinstanzliches Urteil, das den Anlegern Hoffnung macht. Demnach hafte die Republik für Schäden, weil die Finanzaufsicht nicht hingeschaut habe. Das Urteil des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtsachen ist noch nicht rechtskräftig, die Anlegeranwälte Erich Holzinger, Harald Christandl und Gerd Mössler, die das Musterverfahren angestrengt haben, sprechen aber schon jetzt von einem „Knalleffekt“.
„Wenn die Entscheidung rechtskräftig wird, bedeutet dies, dass die Republik für die massiven Aufsichtsverletzungen der Wertpapieraufsicht den Investoren ab 2002 vollen Schadenersatz zu leisten hat“, so Holzinger am Montag zur APA. Sprich, die Steuerzahler müssten wegen Versagens der damaligen Bundeswertpapieraufsicht BWA, Vorgängerbehörde der FMA, zahlen.
Gericht: Prüfer hätten Zweifel haben müssen
Es ginge wohl um ein paar hundert Millionen Euro, schätzen Involvierte. Im Masseverfahren wurden 19.000 Forderungen in Höhe von rund 1 Mrd. Euro angemeldet, es dürfte aber am Ende des Tages nur die Hälfte anerkannt werden. Dem Gericht zufolge hätte den BWA-Prüfern schon 2000/01 massive Zweifel am Genussscheinkonstrukt AvW des mittlerweile inhaftierten Finanzjongleurs Wolgang Auer-Welsbach kommen müssen. Es habe schon da Hinweise auf Betrugshandlungen gegeben.
„Der Berechnungsmodus des Kurses wurde als ‚unüblich, willkürlich und nicht nachvollziehbar‘ bezeichnet. Die BWA hat sich mit diesem Prüfungsergebnis offenbar abgefunden und daraus nicht den naheliegenden Schluss gezogen, dass dieser Berechnungsmodus nicht nachvollziehbar geeignet ist, den Wert der Genussscheine festzustellen“, heißt es in dem Urteil. „Wie festgestellt, erschien der Prüferin in concreto die Darstellung des Dr. Auer-Welsbach betreffend den Genussscheinkurs als ‚wie wenn man vor einer Glaskugel sitzt‘.“
„Unterlassung weiterer Prüfungen rechtswidrig“
Dem Gerichtsurteil zufolge hätten die BWA-Prüfer dem Verdacht der „malversiven“ Bildung des Genussscheinkurses nachgehen müssen. „Die BWA hätte jedenfalls prüfen müssen, solange der Verdacht hinsichtlich WAG-Verstöße oder strafrechtlicher Verstöße nicht entkräftet war. Dies hätte jedenfalls betreffend des Genussscheinkurses nicht gelingen können“, hält der Richter fest.
„Die Unterlassung weiterer Prüfungen bzw. sogar einer Strafanzeige war in Anbetracht der festgestellten Prüfungsergebnisse auch in Ansehung der ‚Umstrukturierung‘ daher unvertretbar rechtswidrig“, so das Gericht. Wäre schon damals, lange vor dem Zusammenbruch des Finanzkonglomerats, ein Strafverfahren gegen Auer-Welsbach eingeleitet worden, hätte dies zu Negativschlagzeilen geführt und es hätten nicht so viele Anleger AvW-Genussscheine gekauft, so das Argument des Richters.
Tagsatzungen in Klagenfurt
In den Konkursverfahregen gegen die AvW-Gruppe AG sowie der AvW-Invest AG finden im Juli und August am Landesgericht Klagenfurt Tagsatzungen statt, wo diese geprüft werden. Das vorhandene Vermögen der beiden AvW-Gesellschaften beläuft sich auf 73,5 Mio. Euro.
Die Masseverwalter Gerhard Brandl und Ernst Malleg brachten zur Klärung offener Rechtsfragen Musterverfahren ins Rollen. Diese sind im Wesentlichen abgeschlossen, erklären sie den Anlegern in einem Brief vom Montag, der der APA vorliegt. Die genaue Höhe der angemeldeten Forderungen gaben die Masseverwalter nicht bekannt. Es ist von rund einer Mrd. Euro die Rede, wobei aber wohl nur rund die Hälfte anerkannt werden dürfte, denn einige Forderungen wurden mehrfach angemeldet. Auer-Welsbach hatte im Strafprozess 2010/11 gegen ihn zugegeben, einen Schaden von mehr als 450 Mio. Euro angerichtet zu haben. Er wurde wegen Betrugs und Untreue zu acht Jahren Haft verurteilt.
Motorboote und Liegenschaften verkauft
Im Massetopf der AvW-Gesellschaften liegen lediglich 73,5 Mio. Euro – 46,1 Mio. auf dem Konto der AvW Gruppe AG und 27,4 Mio. auf jenem der AvW Invest AG. Die Verwertung des Vermögens ist laut Masseverwalter abgeschlossen. Sie haben unter anderem Liegenschaften, Motorboote und Aktienpakete des Krumpendorfer Finanzimperiums veräußert.
Das Geld soll im Februar 2016 fließen, so der Plan der Insolvenzverwalter. Sollten die noch anhängigen Gerichtsverfahren in der Sache „bis dahin noch nicht entschieden sein, beabsichtigen wir die entsprechende Quote bei Gericht zu hinterlegen und je nach dem Ergebnis der betreffenden Entscheidung auszuschütten. Dasselbe gilt für allfällige Prüfungsprozesse“, heißt es im 6. Anlegerbrief.
Verfahren gegen Verkäufer läuft noch
Eines dieser noch laufenden Verfahren ist der Musterprozess zu Hans Linz. Linz hat eine eigene „Barschiene“ beim Verkauf von AvW-Genussscheinen aufgezogen und wurde ebenfalls wegen Betrugs verurteilt. Nun wird vor Gericht geklärt, ob jene, die bei Linz gekauft haben, auch Anrecht auf Geld aus dem AvW-Massetopf haben. Ein erstinstanzliches Urteil sprach ihnen auch in den AvW-Konkursverfahren Gläubigerstellung zu, die Masseverwalter haben dagegen aber berufen, weil sie anderer Ansicht sind. Die Quote in Linz’ Konkursverfahren hatte nur 1,2 Prozent betragen.
Auch Finanzamt will Millionen
Weiters wird vor Gericht um eine Finanzamtszahlung über 63 Mio. Euro gestritten. Das Klagenfurter Finanzamt hat 2012 als Ergebnis einer Außenprüfung für den Zeitraum 2002 bis 2008 Körperschaftsteuern in Höhe von 58,2 Mio. Euro plus 7,6 Mio. Euro an Zinsen, insgesamt also 65,8 Mio. Euro, vorgeschrieben. Die Masseverwalter haben gegen die Bescheide berufen – vorerst erfolgreich: Am 5. März 2015 hat das Bundesfinanzgericht die Steuer auf 2,6 Mio. und die Zinsen auf 300.000 Euro reduziert. Dagegen hat aber wiederum das Finanzamt eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erhoben. Geht diese durch, fließen knapp 63 Mio. Euro in die Staatskasse – Geld, das sonst den Anlegern zugutekommen würde.
Die Masseverwalter weisen die Anleger außerdem darauf hin, dass sie, wenn sie bereits Entschädigungszahlungen von Banken oder dergleichen bekommen haben, ihre Forderungen um diesen Betrag einschränken müssen. Bei den Prüfungstagsatzungen wird höchstens der tatsächlich bezahlte Kaufpreis plus das tatsächlich bezahlte Agio (Ausgabeaufschlag) zuzüglich 4 Prozent Zinsen anerkannt. Die Betroffenen werden gebeten, die Masseverwalter nicht anzurufen, „da telefonische Auskünfte zu 19.000 Forderungsanmeldungen unmöglich zu bewältigen sind.“
(orf.at, 04.05.2015)