Die Wienwert-Affäre ist eine Geschichte des Scheiterns, enttäuschter Hoffnungen und – zumindest vorerst – teils versickerter Anleger-Millionen. Die Mutter der Immobiliengruppe, die WW Holding AG, hat nun ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung beantragt, bei dem eine Mindestquote von 20 Prozent erforderlich ist. Im folgenden ein historischer Abriss.
April 2008: Die heutige WW Holding AG wird gegründet, mitten in der internationalen Finanzkrise, ursprünglich als Wienwert Immobilien Finanz AG. Später hieß sie Wienwert AG und Wienwert Holding AG. Heute gehört sie zu je einem Drittel zwei Firmen des Gründer-Duos Nikos Bakirzoglu und Wolfgang Sedelmayer sowie zu einem Drittel dem seit April 2016 amtierenden Alleinvorstand Stefan Gruze.
Dezember 2009: Schon die erste Wienwert-Anleihe fällt als "Hochprozenter" auf. Anlegerschützer Wilhelm Rasinger nennt das Rendite-Versprechen von 8,5 Prozent "spekulativ", die Emittenten sehen das anders: Der damalige Wienwert-Chef Bakir(zoglu) bezeichnet den Wiener Zinshausboom als ungebrochen. Co-Vorstand Sedelmayer betont zu den Bonds – Mindeststückelung 50.000 Euro -, dass die Nachfrage nach Vorsorgewohnungen das Angebot deutlich übersteige. Die Anleihe richte sich an Investoren, die von der guten Entwicklung des Wiener Immo-Marktes profitieren, ihr Geld aber nur kurz binden wollten.
März 2010: Schon sind die nächsten Wienwert-Emissionen unterwegs, eine Nullkupon-Anleihe mit 8,0 Prozent Effektivverzinsung und eine Fixzins-Anleihe mit effektiv 7,5 Prozent p.a. und vierteljährlicher Ausschüttung, Laufzeit ebenfalls jeweils fünf Jahre. Wie üblich können die Papiere direkt bei der Emittentin, der Wienwert Immobilien Finanz AG gezeichnet werden, ohne Vermittler.
Oktober 2010: Erste konkrete Wienwert-Projekte werden bekannt. Gekauft wurden vier Wiener Stilhäuser, deren Wohnungen nach Renovierung als Vorsorgeobjekte offeriert werden. Die Häuser liegen beim Naschmarkt (Franzensgasse), im Schlossquadrat-Viertel (Hofgasse) sowie im Villenviertel von Währing (Mitterberggasse und Schopenhauerstraße). Die Wienwert-Chefs skizzieren aber auch schon, was der Firma später zum Verhängnis wird: Die Gefahr einer Überhitzung des Immo-Markts bestehe nur dann, wenn hauptsächlich kreditfinanziert gekauft würde und die Käufer Probleme mit Zinsen und Rückzahlungen hätten.
November 2010: Der Geldhunger lässt nicht nach – schon werden die nächsten Anleihen emittiert. Jetzt gibt es 7 Prozent effektiv p.a. bei vierteljährlicher Ausschüttung und sechs Jahren Laufzeit sowie alternativ 7,375 Prozent p.a. bei einer drei Jahre laufenden Nullkupon-Anleihe. "Mit dem Kapital werden wir das Einkaufsvolumen deutlich erhöhen", so das Vorstands-Duo.
Dezember 2010: Als Investor müsse man "Zukunftsszenarien durchdenken" – aber nicht alle Käufer hätten diese Fantasie, sagt Vorstand Sedelmayer im "WirtschaftsBlatt". Es gebe sicher Anbieter, "die mit falschen Berechnungen ködern und zu optimistisch rechnen". Er kenne genug Leute, die sich ihre Vorsorgewohnung auf eigene Faust gesucht – und dabei jede Menge Lehrgeld bezahlt hätten: "Wer auf eigene Faust sucht, muss aufpassen, dass er keinen Ramsch bekommt."
März 2011: Bei den meisten Investoren stehe jetzt "die Sicherung von Vermögen im Vordergrund", erläutert Bakir. Diese Bedürfnisse der neuen Käuferschicht erfülle Wienwert mit dem Erwerb von Immobilien im Rahmen eines "Hausherrenmodells".
Oktober 2011: Jetzt wird nicht mehr gekleckert, sondern geklotzt. "Wienwert plant neue Anleihe über zehn Millionen Euro", titeln Zeitungen. Gefahren, etwa eine Immo-Blase durch die Flucht in "Betongold" aufgrund der Finanzkrise, sieht das Management nicht. Wienwert investiere mit 50 bis 60 Prozent Eigenkapital. Heuer wolle man 25 Mio. Euro in Wiener Altbau-Entwicklungen stecken, 2012 solle das Volumen verdoppelt werden. Da die großen Immo-AGs eher verkaufen würden, könne man Marktchancen nutzen.
November 2011: Wienwert platziert ihren sechsten und siebenten Bond, wieder zwei Wiener "Hausherren-Anleihen", mit Coupons von 6,75 bzw. 5,25 Prozent und Laufzeiten von sechs bzw. drei Jahren; Mindestzeichnung 50.000 Euro. Aktuell hat man nach eigenen Angaben ein Immo-Portfolio von rund 30 Mio. Euro; den Umsatz habe man 2011 um rund 30 Prozent gesteigert, dieses Wachstum wolle man auch 2012 fortsetzen. Wegen Schuldenkrise und Inflationsangst sei die Nachfrage ungebrochen hoch, so Sedelmayer.
März 2012: Das neue Sparpaket der Regierung kostet Immo-Investoren 0,5 Prozent ihrer Rendite, das sei aber "kein Grund zum Katzenjammer", rechnet Sedelmayer in einer eigenen Rubrik im "Standard" vor. "Betongold" verliere zwar Glanz, müsse aber nicht als wertloses Alteisen entsorgt werden. Entscheidend sei: " Bei Immobilien investiert der Anleger nicht in Erwartungen und Versprechungen, sondern in Substanz – und Substanz hat bekanntermaßen immer Konjunktur."
Juni 2012: "Wir profitieren davon, dass die Banken so gut wie keine Zinsen zahlen", sagt Sedelmayer zu den neuesten Emissionen mit drei bzw. sechs Jahren Laufzeit und 5,25 sowie 6,75 Prozent p. a., wobei die "Substanz-Anleihe" mit vier Jahren sogar 7,75 Prozent Zinsen p.a. abwerfen soll. Mindestanlage: 50.000 bzw. 100.000 Euro. Das Geld fließe auf ein Treuhandkonto – und: "Wir verwenden das Geld nicht, um Schulden zu zahlen, sondern für neue Projekte."
Dezember 2012: Wienwert und der Bauträger SÜBA übernehmen das Niemetz-Firmengelände am Rennweg 52 in Wien-Landstraße – als Beitrag zur Rettung des Schwedenbomben-Herstellers: "Wir konnten in einer Notlage helfen", so Wienwert. Auf dem Areal sollen 7.200 m2 Wohnnutzfläche möglich sein, insgesamt will man 95 Wohneinheiten errichten, hieß es zunächst. Später war von einem achtstöckigen Wohnblock mit 114 Wohnungen für 27 bis 28 Mio. Euro die Rede.
Februar 2013: Wienwert gibt eine "weitreichende" Vertriebskooperation mit der WM Maierhofer AG (WM AG) für alle ihre Veranlagungsprodukte bekannt, insbesondere die Anleihen. Peter Maierhofer, Gründer und seit 2014 Alleinvorstand der WM AG, war von 2007 bis 2015 Aktionär dieser Gesellschaft, davor von 2001 bis 2007 unter anderem Vorstand der MPC Venture Invest AG, eines Österreich-Ablegers der deutschen MPC Münchmeyer Petersen Capital AG.
März 2013: Man will noch an das Gute glauben. "Wolfgang Sedelmayer, Vorstand von Wienwert Immobilien, erklärt, was man sich von sinnvollen Investitionen in Häuser und Wohnungen erwarten kann. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!", heißt es in einer Zeitungsbeilage. "Wer vor 2006 in eine Wohnung investiert hätte, wäre um einige zehntausend Euro reicher", gibt er darin zum Besten: "Als Schutz vor Inflation sind Immobilien immer noch eine bewährte Anlageform."
Mai 2013: Erstmals steigt Wienwert auch in den Neubau ein, wird bekanntgegeben. Und: "Auch Wienwert-Vorstand Nikos Bakir sieht Sicherheit als wichtigstes Gebot bei Vorsorgewohnungen", heißt es im "Format". Wienwert verfüge über 20 Jahre Erfahrung am Wiener Immobilienmarkt – obwohl die Firma eigentlich erst 2008 gegründet wurde. Zum Thema Vorsorgewohnungen, nicht zu Anleihen, erklärt Bakir in dem Magazin-Interview: "Am wichtigsten ist für Käufer die Sicherheit. Darüber hinaus ist Transparenz von Bedeutung. Man will ja wissen, was mit dem Geld passiert."
Juni 2013: Grund zum Feiern. Sommerfest nahe Schönbrunn. "Ein großzügiger Garten einer repräsentativen Stadtvilla, Verpflegung und viele gut gelaunte Gäste: Das waren die Zutaten für das Sommerfest des Wiener Immobilien-Spezialisten Wienwert, zu dem Vorstand Nikos Bakir vor kurzem geladen hat", so ein Magazin. "Gefeiert wurde in der Wattmanngasse 25 in Hietzing, einer Immobilie, die Wienwert vor kurzem erworben hat", auch Vertriebsmann Wolfgang Maierhofer war dabei.
August 2013: "Nicht überall, wo Vorsorgewohnung drauf steht, ist auch eine drin", sagt Bakir zum "Format". Neu im Angebot hat Wienwert Wohnraum in Wien 7., Lerchenfelderstraße 67 – das als "Referenz" gedachte Objekt LF 67 sollte der Gruppe noch jahrelang als desolates Haus Probleme bereiten. Erstanden hat man es damals von der Hallmann Holding, ein Miteigentümer klagte später auf Rückabwicklung seines Vertrages.
Dezember 2013: Die 3-jährige Nullcouponanleihe 2010-2013 (mit 7,375 Prozent Anleger-Rendite) wird zur Gänze getilgt, das Volumen betrug 2,15 Mio. Euro, knapp die Hälfte aller Rückzahlungen von 2010 bis Frühjahr 2016. Möglich war die 100-prozentige Tilgung laut Bakir, weil die beiden mit den 2,15 Mio. finanzierten Projekte rascher fertig wurden (Allerheiligenplatz – wo Wienwert vor dem Getreidemarkt den Sitz hatte – sowie Hofgasse).
April 2014: Das "Format": "Der Anteil des Fremdkapitals ist bei Wienwert zwar nicht gerade klein, und generell gilt bei Unternehmensanleihen Vorsicht, aber in der Vergangenheit hat das Unternehmen jede Anleihe pünktlich zurückgezahlt."
November 2014: Auch eine weitere 3-jährige Anleihe (aus 2011) für 2,5 Mio. mit 5,25 Prozent Zins wird vorzeitig zurückgezahlt, da die sanierten Dachausbauten schnell verkauft werden konnten (Schopenhauerstraße, Allerheiligenplatz).
März 2015: Wienwert-Gründer Bakir präsentiert im "Format" seinen Oldtimer-Fuhrpark mit 14 Karossen. Die ersten Boliden, einen Cadillac und einen Rolls-Royce, hatte er sich schon Anfang der 90er aus den USA geholt. Mit seinem Freund Sedelmayer war Bakir ursprünglich in der Installationsbranche tätig, verrät er. Ende der 80er Jahre wagten sich die beiden über den ersten Dachgeschoß-Ausbau. Die Wohnungen verkauften sich gut. "Das war unser Start in der Immo-Branche." "Aktuell errichtet, saniert und verkauft die Wienwert freifinanzierte Immobilien im Wert von 180 Millionen Euro", hieß es in dem Artikel.
März 2015: Erstes Verbraucherschutz-Urteil gegen Wienwert. In zweiter Instanz gewann der Verein für Konsumenteninformation (VKI) vor dem Obersten Gerichtshof (OGH), weil die Bonds als "grundbuchbesichert" beworben wurden, obwohl diese Sicherstellung Anlegern nicht eingeräumt wurde, wenn es etwa Fremdfinanzierungen oder Projekt-Gesellschaften gab. Derartige Formulierungen sind zu unterlassen, so der OGH. Schon davor hatte Wienwert in Radiospots auf solche Aussagen verzichtet.
Oktober 2015: Auch im Autokino-Business versucht sich die Wienwert. In Groß-Enzersdorf bei Wien (NÖ) kauft sie ein 24.000 m2 großes Areal, um das dortige insolvente "einzige österreichische Autokino" mit neuem Betreiber wiederzubeleben.
März 2016: Der Daumen zeigt für Wienwert nach unten: Die Kreditschützer vom KSV1870 senken die Bonität der im Wohnbau tätigen Gruppe. Erstmals wird das Geschäftsmodell medial kritisch hinterfragt: "Im Fundament des Unternehmens rumpelt es", es gehe um wirtschaftliche Turbulenzen, Millionenstreitigkeiten mit Auftragnehmern und dubiose Einkaufspraktiken, so die "Presse". Zur Bilanz 2014 soll der Wirtschaftsprüfer im Herbst 2015 von "erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der Unternehmensfortführung" geschrieben haben, die es wegen "wesentlicher Schwächen bei der internen Kontrolle des Rechnungslegungsprozesses" gebe – allerdings gab es dennoch ein uneingeschränktes Testat. Vom Bauvolumen 2015 (10 Mio. Euro) soll Wienwert 1,6 Mio. an Forderungen nicht anerkennen, für Branchenexperten viel; Wienwert kontert, oft würden Firmen "betrügerisch viel" abrechnen, einige Causen landen vorm Kadi.
April 2016: Wienwert krempelt seine Führung um: Die beiden (damaligen) Hälfteeigentümer Bakir und Sedelmayer ziehen sich aus dem Vorstand zurück, der Investmentbanker Gruze wird Alleinvorstand. Er versteht sich als Sanierungsmanager und soll für 3 Mio. Euro Finanzierungszusagen mitgebracht haben, für weitere 3,5 Mio. gebe es konkrete Investorenabsichten, hieß es.
"Wir machen uns börsenfit und werden ab heuer Quartalszahlen veröffentlichen", sagt Gruze damals – dazu kommt es aber nie. Bis 2020 schwebt ihm ein Gang an die Börse vor, eventuell schon 2018. Die Firma heißt nur noch "Wienwert AG" und will bis Sommer 10 bis 15 Mio. Euro neue Bonds begeben. Das neue Geschäftsmodell: Statt Altbauten will man sich auf Neubau und Vermietung fokussieren. Vorsorgewohnungen seien als "Thema ausgelutscht", so der CEO: "Jeder Zahnarzt, jeder Steuerberater hat mittlerweile drei Vorsorgewohnungen."
Juni 2016: Auch den neuen Vorstand lässt "der Reiz des Betongolds" nicht los. "Immobilien sind der solideste Wert, in den man sein Geld veranlagen kann", sagt er: "Wer in Märkten mit nachhaltig starker Nachfrage investiert, kann jedenfalls sehr ruhig schlafen." Für die Anleihen strebe man eine Notiz am Wiener Markt Corporates Prime an mit Ad-hoc-Pflicht. Auch eine Versammlung für Anleihekäufer – ähnlich der Hauptversammlung einer AG – solle es geben, kündigt Gruze an. Den letztgültigen Wert des Immo-Portfolios beziffert er per Ende 2015 mit 124 Mio. Euro, nach Abschluss der Developments seien es 188 Mio. Euro.
Juni 2016: Die Finanzmarktaufsicht (FMA) verhängt Geldstrafen gegen die zwei früheren Verantwortlichen der Wienwert Immobilien Finanz AG (heute: WW Holding AG) unter anderem wegen irreführender Werbung. Die Strafen von je 9.800 Euro wurden rechtskräftig.
Juli 2016: Gruze "zündet" die Causa IMV/IVS an, er wirft der größten privaten Hausverwaltung des Landes unsaubere Praktiken vor – etwa durch jahrelang überhöhte Professionistenrechnungen; es gilt die Unschuldsvermutung. Diese und die einige Monate davor von der IMV verkaufte IVS weisen die Vorwürfe zurück.
Oktober 2016: Für den Kauf neuer Grundstücke kündigt Wienwert eine neue, zehnjährige 3,75-Prozent-Anleihe für bis zu 5 Mio. Euro an. Gleichzeitig wird bekannt, dass die Bilanz 2015 fast 15 Mio. Euro Jahresverlust ausweist, fast 10 Mio. negatives Eigenkapital – aber es gibt trotzdem (erneut von der SOT) einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Es liege trotz negativen Eigenkapitals zwar keine insolvenzrechtliche Verschuldung vor, "aufgrund der unterschiedlichen Laufzeiten von Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber ihren Gläubigern einerseits, sowie Forderungen der Gesellschaft gegenüber Gesellschaften der Wienwert-Gruppe andererseits besteht jedoch ein wesentliches Liquiditätsrisiko", erklärt die Süd-Ost-Treuhand. Seit 2010 hat Wienwert 24 Anleihen für 42 Mio. emittiert, davon sind 8 Mio. Euro bisher getilgt, heißt es. Jedoch beziffert ein neuer Kapitalmarktprospekt den Neuplatzierungsbedarf bis 2018 mit rund 25 Mio. Euro, weil bis dahin 14,34 Mio. Euro zur Rückführung fällig würden. Sollten die neuen Bonds nicht mehr begeben werden können, "hätte dies signifikante Auswirkungen auf die Solvenz", lautete die Warnung in dem Prospekt. Dann bestehe erhebliches Risiko, dass die jährlichen Kuponzahlungen und/oder Rückzahlungen nicht mehr geleistet werden könnten.
Jänner 2017: "Erhebliche Probleme für Immoentwickler Wienwert" titelt eine Zeitung. Die Wienwert Holding AG wies per Ende 2016 rund 20 bis 22 Mio. Euro negatives Eigenkapital auf, so der Bericht. Der Verkauf von Altbauten soll den Cashbestand erhöhen. Der Altbestand wurde an Hallmann und andere veräußert, 2015/16 soll es zusammen aber 27 Mio. Abschreibungsbedarf gegeben haben.
Jänner 2017: Wienwert hat Anleihen über 42 Mio. Euro "draußen", die Anleihezeichner "sorgen sich ob sie das Geld je wieder sehen", so eine Zeitung. Man sei nicht konkursgefährdet, hält Gruze dem entgegen: "Wir haben genug Liquidität und zahlen alle Verpflichtungen den Anleihegläubigern pünktlich." Was das Eigenkapital auffraß? "Wiener Zinshäuser, die wegen der geringen Rendite fast zu Gänze verkauft wurden, 10 Mio. Euro unter dem Buchwert", so der CEO. Er sei als Sanierer zu einem "schwer kranken Patienten" gekommen.
April 2017: Die Ziele des CEO sind weiter ambitioniert: Rund 3.000 leistbare, frei finanzierte Wohnungen will er in den nächsten Jahren in Wien errichten. Außerdem will er die Ende 2016 neu gegründete Wienwert AG, die fortan als Tochter der neuen WW Holding AG fungiert, 2018 an die Wiener Börse bringen. Die alte Wienwert AG sei die nunmehrige Wienwert Holding AG und Alleinaktionärin der neuen Wienwert AG. "Die Gewinne, die wir erwirtschaften, werden in die alte Wienwert-Holding fließen, um die Anleihen zu tilgen", so der Ex-Banker: "Wir gehen davon aus, dass wir die Zinsen bezahlen und auch das Kapital zurückzahlen können." Bis Ende 2018 wären dafür 18 Mio. Euro nötig, der Rest bis 2026. Eine Neuemission, die erste der neuen Wienwert AG, komme eventuell noch bis Sommer.
Juni 2017: Das negative Eigenkapital der Wienwert Holding ist mit 27,5 Mio. höher als die Anfang 2017 erwarteten 20 bis 22 Mio. Euro.
Juli 2017: Die FMA wirft der Wienwert vor, bei einer 5-Mio.-Anleihe das "tatsächliche Risiko des Erwerbs nicht hinreichend dargestellt" zu haben – nämlich dass indirekt in die Mutter WW Holding AG investiert werde – und in einem Werbevideo den unrichtigen Eindruck eines Naheverhältnisses zur Stadt Wien erweckt zu haben. Wienwert will den Sachverhalt mit der Behörde klären und sich fortan nur noch aufs Segment "leistbares Wohnen" konzentrieren ("Wienwert Plus").
August 2017: Kooperation von Wienwert mit der Bundespensionskasse wird bekannt. Künftig will man Immo-Käufe 50:50 finanzieren und auch Projektgesellschaften 50:50 halten. Konkret wurde ein Syndikatsvertrag mit dem Luxemburger Sicav-Fonds Wohnen Plus SCS abgeschlossen, dahinter steht als Eigentümer und einziger Investor die BPK, die der Republik gehört und u.a. für die Zusatzpensionen von Bundesbediensteten zuständig ist. Erste Immos sollen bereits für einen zweistelligen Mio-Betrag angekauft worden sein, heißt es.
August 2017: FMA hat Verwaltungsstrafverfahren gegen Wienwert eingeleitet wegen Verdachts der irreführenden Werbung. Im Luxemburger Prospekt, auf dessen Basis in Österreich Anleihen verkauft werden, sollen bestimmte Risikohinweise unterlassen worden sein. Zugleich strotz der Vorstand vor Optimismus zum operativen Geschäft: "Wir wollen kurzfristig bis zu 100 Mio. Euro in Grundstücksakquisitionen investieren." Parallel wird bekannt, dass Wienwert für 2016 ein negatives Eigenkapital von 28,7 Mio. Euro ausweist (mehr als befürchtet), wegen 11,9 bzw. 18.8 Mio. Verlust in den letzten zwei Jahren, ausgelöst durch weitere Abwertungen. Und: SOT gibt der WW Holding nur noch einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk. Die Tochter Wienwert soll nur 5 Mio. Euro Eigenkapital haben, davon 3,2 Mio. der Markenrechtswert, 1,8 Mio. Cash.
September 2017: CEO Gruze erhielt von der FMA 85.000 Euro Verwaltungsstrafe aufgebrummt (Strafrahmen 100.000 Euro) – wegen irreführender Werbung und fehlendem Prospekthinweis. Den Vorwurf irreführender Werbung will man bekämpfen, die Strafe ist nicht rechtskräftig.
September 2017: Im ersten Halbjahr schrieb Wienwert nach eigenen Angaben 2,5 Mio. Euro Verlust nach Steuern bzw. 2,8 Mio. Bilanzverlust. Das Eigenkapital wird mit 2,2 Mio. Euro beziffert.
Oktober 2017: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) prüft eine Anzeige gegen Wienwert, die ein Ex-Geschäftspartner eingebracht hat – wegen angeblicher fragwürdiger Zahlungen an Gesellschaften von der Wienwert nahestehenden Personen; es gilt die Unschuldsvermutung.
November 2017: Wienwert soll zwei Häuser für zusammen 30 Mio. Euro losgeschlagen haben, Käufer soll die Hallmann Holding von Immoinvestor Klemens Hallmann sein.
November 2017: WKStA ermittelt wegen Verdachts der Untreue gegen handelnde Personen von Wienwert. Auslöser war eine Sachverhaltsdarstellung des Anlegerschützer-Vereins Cobin Claims, die sich gegen die beiden Gründer und den CEO richten; es gilt die Unschuldsvermutung. Kritik darin: die WW Holding könnte durch den im Mai 2016 erfolgten und 3,12 Mio. Euro teuren Erwerb der Markenrechte, die den beiden Gründern gehörten, "entreichert" worden sein.
Dezember 2017: Der CEO schickt an die beiden Gründer kurz vor Weihnachten die letzten von etlichen Mahnungen zu 2 Mio. Euro, die diese angeblich bei der WW Holding AG offen haben sollen; ursprünglich waren es laut Vorstand sogar 6 Mio. Euro, jedoch wurden dann auch die gut 3 Mio. Markenwert gegengerechnet. Die Nichtzahlung nennt Gruze später als eine Mitursache der Insolvenz.
18. Jänner 2018: Die Wienwert-AG-Mutter WW Holding AG räumt ihre Zahlungsunfähigkeit ein und kündigt rasch einen Insolvenzantrag an. Eine am 20. Dezember fällig gewesene Anleihe konnte nicht mehr bedient werden. Indirekt wird die Schuld an den Problemen auch den WKStA-Ermittlungen gegeben, da jetzt keine neue Anleihen mehr emittiert werden könnten. Im Zuge der Sanierung solle die Tochter Wienwert AG verkauft werden, heißt es.
21. Jänner 2018: Der Chef von WW Holding AG und Wienwert AG entschuldigt sich in einem offenen Brief "mit dem Ausdruck größten Bedauerns" bei den rund 900 Anlegern, die 35 Mio. Euro ausstehende Anleihen besitzen. "Die Problemstellungen aus der Vergangenheit" habe man nicht lösen und dadurch die WW Holding auch nicht sanieren können.
23. Jänner 2018: FMA betont, dass Wienwert bei der Anleihenbegebung eine Aufsichtslücke ausgenützt hat, weil sie ihre Papiere selbst im Eigenvertrieb verkauft hat und diese damit nicht den Kapitalmarktregeln (MiFID) unterlegen sind: "Das ist das Kern des Problems", so die FMA. – Am selben Tag erhebt das Gründer-Duo eine "Gegenforderung" in Höhe von 4,5 Mio. Euro zu den 2 Mio. Euro, die Gruze von den beiden einfordern wollte.
28. Jänner 2018: Der Wienwert-Vorstand erklärt, man wolle am Geschäftsmodell festhalten, wenn auch ohne Neuemissionen. Die Außenstände werden mit 45 Mio. beziffert. Ein deutscher Investor soll zur Übernahme der Wienwert und zum Einschuss von Millionen bereit sein, schreibt "profil" – es gebe eine Finanzierungsbestätigung, sagt der Rechtsvertreter der beiden Gründer und Zweidritteleigentümer.
28. Jänner 2018: Cobin Claims kritisiert im APA-Gespräch, Wienwert habe seine Anleger über das Hauptrisiko im Unklaren gelassen, nämlich dass die Zeichner vielfach ein Equity-, also Eigenkapitalrisiko zu tragen haben und dass die Bonds nicht besichert seien. Zum neu geplanten Geschäftsmodell ist man skeptisch: Ein reines Vermietungsmodell sei zur Anleihen-Rückführung nicht tragbar, sagt der Verein, der über ein Drittel der Zeichner hinter sich versammelt hat. Zentrale Frage sei: "Wo ist das Geld hin?" Wie habe man in einem boomenden Immo-Markt innerhalb von sieben Jahren derart hohe Summen verbrennen können?
1. Februar 2018: Die WW Holding AG beantragt ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung, bei dem es mindestens 20 Prozent Quote für die Gläubiger geben muss. Die nicht insolvente Tochter Wienwert AG, die der Mutter zu 99,99 Prozent gehört, soll verkauft werden, erklärt das Schuldnerunternehmen.
(APA / diepresse.com, 01.02.2018, 11:39)